Systemische Methoden sind Ansätze und Techniken, die aus der Therapie, Beratung und dem systemischen Coaching stammen. Sie basieren auf der systemischen Sichtweise, die davon ausgeht, dass Menschen immer ein Teil von Systemen sind (z. B. Familie, Partnerschaft, Arbeitsteam, soziale Gruppen) und ihre Verhaltensweisen und Probleme in Wechselwirkung mit diesen Systemen stehen.
Der Fokus liegt also darauf, nicht nur den Einzelnen isoliert zu betrachten, sondern die Beziehungen, Interaktionen und Muster innerhalb des gesamten Systems. Systemische Methoden werden häufig im therapeutischen Bereich, in der Beratung, Paartherapie, Coaching und in der Organisationsentwicklung eingesetzt.
Inhaltsverzeichnis – Systemische Methoden
– Merkmale Systemischer Methoden
– Einsatzbereiche von systemischen Methoden
– 9 Beispiele für systemische Methoden (Fragetechniken, Genogramm, Tetralemma, Ikigai)
Merkmale systemischer Methoden:
Ressourcenorientierung:
Es wird häufig auf die vorhandenen Stärken und Fähigkeiten von Personen und Systemen gebaut.
Lösungsorientierung:
Die Aufmerksamkeit liegt auf der Entwicklung von Lösungen anstatt auf der Problemfokussierung.
Zirkularität:
Betrachtet wird, wie verschiedene Mitglieder eines Systems einander beeinflussen und wie sich Muster, Bedingungen oder Kreisläufe entwickeln.
Neutralität:
Der Berater oder Therapeut nimmt eine neutrale Haltung ein, um alle Perspektiven zu berücksichtigen.
Systemisches Fragen:
Spezifische Fragetechniken, wie zirkuläre Fragen oder hypothetische Fragen, werden genutzt, um neue und ganzheitlichere Sichtweisen zu eröffnen.
Einsatzbereiche von systemischen Methoden
Therapie und systemische Paartherapie:
Hilfe bei familiären Konflikten, Beziehungsproblemen oder psychischen Belastungen.
Coaching und Beratung:
Unterstützung bei beruflichen Themen, Entscheidungsfindung oder der persönlichen Weiterentwicklung.
Organisationsentwicklung:
Förderung von Teamarbeit, Konfliktmanagement und Veränderungsprozessen in Unternehmen.
Systemische Methoden sind in der Regel flexibel einsetzbar und bieten eine wertvolle Perspektive für die Arbeit mit komplexen sozialen Systemen. Sie fördern ein tiefes Verständnis für die Beziehungen und Wechselwirkungen innerhalb eines Systems und helfen dabei, nachhaltige Lösungen zu entwickeln.
9 Beispiele für systemische Methoden, die Sie in Ihrem Methodenkoffer haben sollten
1 – Aufstellungsarbeit – Eine der bekanntesten systemischen Methoden
Die Aufstellungsarbeit, wie Familien- oder Organisationsaufstellungen, dient dazu, komplexe Beziehungsstrukturen und Dynamiken sichtbar zu machen. Dabei werden Personen oder Symbole im Raum so positioniert, dass sie die Beziehungen innerhalb eines Systems repräsentieren.
Dies kann beispielsweise in Form einer Familienaufstellung geschehen, bei der Familienmitglieder durch Stellvertreter oder Figuren dargestellt werden. Auch im Business Bereich werden Aufstellungen immer wieder verwendet.
Praxisbeispiel:
Ein Teamleiter hat Schwierigkeiten, Konflikte in seinem Team zu lösen. In einer Organisationsaufstellung werden die Teammitglieder durch Karten oder Figuren repräsentiert und auf einem Tisch so platziert, dass ihre Position zueinander die gefühlte Beziehung im Team widerspiegelt.
Durch die visuelle Darstellung wird das Unsichtbare greifbar gemacht. Beteiligte können Blockaden erkennen und mögliche Lösungsansätze erarbeiten.
2 – Zirkuläres Fragen
Zirkuläre Fragen gehören zur Familie der systemischen Fragen. Diese Methode zielt darauf ab, Wechselwirkungen und Perspektiven innerhalb eines Systems aufzudecken. Statt direkt nach der eigenen Sicht zu fragen, bittet der Berater den Klienten, die Sichtweise einer anderen Person im System zu beschreiben. Dies hilft dabei, neue Perspektiven zu gewinnen und eingefahrene Denkmuster zu durchbrechen.
Praxisbeispiel:
Eine Mutter kommt mit Sorgen über den schulischen Erfolg ihres Sohnes in die Beratung. Der Berater fragt: „Wie würde Ihr Sohn beschreiben, wie Sie mit ihm über Schule sprechen?“ oder „Wie würde Ihr Partner Ihre Reaktion auf die Schulprobleme sehen?“ Solche Fragen regen dazu an, über eigene Verhaltensweisen und deren Wirkung nachzudenken.
Die Methode fördert die Fähigkeit zur Selbstreflexion und stärkt das Verständnis für die Perspektive anderer Beteiligter. Das kann helfen, Konflikte zu entschärfen oder neue Lösungswege zu entwickeln.
3 – Skalierungsfragen (Skalenfragen)
Durch Skalierungsfragen sind Coaching Fragen mit denen Empfindungen wie Zufriedenheit, Motivation, Wahrnehmungen, Eindrücke, Gefühle, Emotionen und Fortschritte benannt und vor allem auch verglichen werden.
Hierbei wird ein Thema auf einer Skala von z. B. 1 bis 10 eingeordnet, um Klarheit über die Intensität von Gefühlen, Fortschritt oder Veränderung zu schaffen. Diese Methode ist besonders hilfreich, um abstrakte oder emotionale Themen greifbar zu machen.
Praxisbeispiel:
Eine Führungskraft fühlt sich gestresst und überfordert. Der Coach fragt: „Auf einer Skala von 1 bis 10 – wie hoch ist Ihr Stresslevel aktuell?“ Angenommen, die Führungskraft antwortet „8“. Der Coach könnte daraufhin fragen: „Was müsste passieren, damit es sich wie eine 6 anfühlt?“ Das regt die Person dazu an, konkrete Schritte zu formulieren, die den Stress reduzieren und einen Burnout vermeiden könnten.
Die Skalierung macht Veränderungen messbar und motiviert dazu, kleine, realistische Schritte einzuleiten. Gleichzeitig wird Fortschritt sichtbar gemacht.
4 – Reframing Fragen – Must-have im systemischen Methodenkoffer
Beim Reframing geht es darum, eine Situation oder ein Problem aus einer neuen Perspektive zu betrachten und ihm eine andere Bedeutung zu geben. Es ermöglicht den Klienten beispielsweise, eine Herausforderung in einem positiven Licht zu sehen.
Praxisbeispiel:
Ein Mitarbeiter empfindet seinen Perfektionismus als belastend, da er ihm oft Stress bereitet. Der Berater könnte sagen: „Ihr Perfektionismus zeigt aber auch, dass Sie extrem engagiert sind und hohe Qualitätsansprüche haben. Wie könnten Sie diese Stärke nutzen, ohne sich selbst auszubrennen?“ Dadurch wird das Problem vom Negativen ins Positive umgedeutet.
Reframing erleichtert es Menschen, ihre inneren Ressourcen wertzuschätzen und sich auf konstruktive Lösungen statt auf Defizite zu konzentrieren.
5 – Hypothetische Fragen
Hypothetische Fragen sind ebenfalls Teil der systemischen Fragen und beginnen oft mit „Was wäre, wenn …“. Diese Technik regt dazu an, über zukünftige Szenarien nachzudenken, die Zukunft zu antizipieren und mögliche Lösungen oder Entscheidungen gedanklich auszutesten. Hypothetische Fragen können Sie immer dann einsetzen, wenn es darum geht, die Konsequenzen und Auswirkungen der möglichen Pläne, Ideen oder Ziele zu ergründen.
Praxisbeispiel:
Ein Klient möchte seine berufliche Situation verbessern, weiß aber nicht genau wie. Der Berater fragt: „Angenommen, Sie wachen morgen auf und Ihr Problem ist gelöst – was wäre dann anders? Was würden Sie zuerst wahrnehmen?“ Solche Fragen ermutigen den Klienten dazu, sein Ziel klarer zu formulieren und erste Schritte dafür zu planen.
Die Methode ermöglicht es, Visionen zu entwickeln und sich auf konkrete Handlungen hinzubewegen. Sie schafft Klarheit über Wünsche und Prioritäten.
6 – Arbeit mit Ressourcen – nicht nur wichtig beim systemischen Ansatz
Hier liegt der Fokus darauf, vorhandene Stärken zu erkennen und gezielt einzusetzen. Der Berater oder Therapeut hilft dem Klienten dabei, Ressourcen bewusst zu machen und für die Lösung eines Problems zu nutzen.
Praxisbeispiel:
Eine Person fühlt sich in ihrer Rolle als Elternteil überfordert. Der Berater könnte fragen: „Welche Situationen meistern Sie als Eltern besonders gut? Woran liegt das?“ oder „Gibt es Menschen in Ihrem Umfeld, die Sie unterstützen könnten?“ Durch solche Fragen wird der Blick auf vorhandene Fähigkeiten oder Hilfsquellen gelenkt.
Die Arbeit mit Ressourcen stärkt das Selbstvertrauen und eröffnet neue Handlungsmöglichkeiten. Sie hilft dabei, Lösungen aus eigener Kraft zu entwickeln.
7 – Genogramm
Das Genogramm ist eine grafische Darstellung von Familienbeziehungen über mehrere Generationen hinweg. Es ähnelt einem Stammbaum, enthält jedoch zusätzliche Informationen wie Konflikte, emotionale Bindungen oder wiederkehrende Muster (z. B. Erkrankungen, berufliche Entscheidungen). Es wird verwendet, um systemische Zusammenhänge und transgenerationale Muster zu erkennen.
Praxisbeispiel:
Ein Klient sucht Unterstützung bei Beziehungsproblemen. Der Therapeut erstellt mit ihm ein Genogramm, das die Beziehungen und Lebenswege seiner Familie abbildet. Dabei zeigt sich, dass es in der Familie über mehrere Generationen hinweg Schwierigkeiten gibt, offene Gespräche zu führen. Dieses Muster könnte dazu beitragen, die aktuelle Beziehung des Klienten zu beeinflussen. Der Therapeut erarbeitet mit dem Klienten Strategien, um diese Muster zu durchbrechen und neue Kommunikationswege zu schaffen.
Das Genogramm hilft, bisher unbewusste Verbindungen und Muster sichtbar zu machen. Es fördert das Verständnis für familiäre Einflüsse auf das eigene Verhalten und unterstützt die Entwicklung neuer Handlungsstrategien. Hier finden Sie eine Genogramm Vorlage und weitere Infos zu diesem Thema.
8 – Ikigai
Ikigai ist ein ganzheitlicher Orientierungsrahmen und Lebensansatz, der auf der japanischen Philosophie basiert. Sein Ziel ist es, individuelle Talente, Stärken und Leidenschaften in Einklang mit den Bedürfnissen, Regeln, Neigungen und Normen der Gesellschaft und Umwelt zu bringen.
Wem es gelingt, diese Faktoren optimal zu vereinen, der lebt ein authentisches Leben voller Erfüllung, Zufriedenheit und Lebensfreude. Das Ergebnis ist ein wahrer und ganzheitlicher Wohlstand auf allen Ebenen des Lebens, sowohl ideell als auch materiell.
Praxisbeispiel:
Ein Klient fühlt sich beruflich unzufrieden und orientierungslos. Der Berater führt ihn durch die Ikigai-Methode, indem er strukturiert die vier Kernfragen stellt. Der Klient erkennt dabei, dass er leidenschaftlich gerne kreativ arbeitet (z. B. Design), darin auch gute Fähigkeiten hat, jedoch aktuell in einem Beruf tätig ist, in dem er diese Fähigkeiten nicht einsetzen kann und der ihn nicht erfüllt. Gemeinsam entwickeln sie eine Strategie, wie er sich beruflich neu ausrichten könnte, z. B. durch Weiterbildung oder einen Jobwechsel.
Die Methode bietet Klarheit darüber, wie persönliche Interessen, Talente und gesellschaftliche Bedürfnisse zusammengeführt werden können. Sie hilft besonders bei der Lebensgestaltung oder beruflichen Neuorientierung.
Weiterführende Quellen zum Thema Ikigai:
9 – Tetralemma – Eine weitere bekannte systemische Methode
Das Tetralemma ist eine systemische Methode zur Entscheidungsfindung und Problemlösung. Es geht davon aus, dass es mehr als zwei Optionen gibt (z. B. „entweder/oder“). Stattdessen werden vier Perspektiven betrachtet:
- Die erste Option („Ja“).
- Die zweite Option („Nein“).
- Beides gleichzeitig („Ja und Nein“).
- Keines von beiden („Weder Ja noch Nein“).
- Zusätzlich kann eine fünfte Perspektive („Alles“) hinzugefügt werden, um noch mehr Möglichkeiten zu berücksichtigen.
Praxisbeispiel:
Ein Unternehmer muss entscheiden, ob er ein neues Produkt auf den Markt bringt oder nicht. Das Tetralemma wird verwendet, um die Optionen zu analysieren:
- Ja: Das Produkt wird eingeführt; Vorteile und Risiken werden beleuchtet.
- Nein: Das Produkt wird nicht eingeführt; Gründe und Konsequenzen werden betrachtet.
- Beides gleichzeitig: Kann das Produkt nur in einer kleinen Testgruppe eingeführt werden?
- Weder Ja noch Nein: Gibt es alternative Wege, wie z. B. die Zusammenarbeit mit einem Partnerunternehmen?
- Alles: Welche weiteren Optionen könnten außerhalb der bisherigen Überlegungen existieren?
Durch diese strukturierte Betrachtung findet der Unternehmer im besten Fall eine kreative und sinnvolle Lösung – beispielsweise zunächst eine Testphase mit einer bestimmten Zielgruppe einzuführen.
Das Tetralemma erweitert den Blick auf mögliche Lösungswege und verhindert ein Feststecken in einfachen „entweder/oder“-Entscheidungen. Es eignet sich besonders für komplexe Problemstellungen.
Fazit zu systemischen Methoden für Therapie, Coaching und Beratung
Systemische Methoden bieten vielseitige Ansätze zur Analyse und Lösung von Problemen in sozialen Systemen. Jede Technik fördert auf unterschiedliche Weise eine klare Sicht auf Wechselwirkungen und stärkt die Fähigkeit zur Eigenverantwortung sowie zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen. Sie sind flexibel anwendbar – von der Therapie über Coaching bis hin zur Arbeit in Organisationen – und helfen dabei, komplexe Dynamiken besser zu verstehen und gezielt zu beeinflussen.
Weiterführende Quellen & Ressourcen:
- Die Forschung zeigt, dass Fragen das Verhalten beeinflussen und Voreingenommenheit fördern können – Aritz, Walker et. al
- Die Effekte von hypothetischen Fragen auf unsere Entscheidungen – University of Iowa
- Die Wirksamkeit von Familientherapie und systemischen Interventionen bei Problemen mit Kindern – University of Dublin
- Eine Einführung in die Familientherapie: Systemische Theorie und Praxis – Dallos, Rudi, Draper, Ros